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Wort zum Nachdenken - Wochenende 15./16.07.2023

Dr. Michael Groß
Datum:
Veröffentlicht: 13.7.23
Von:
Verena Gebhard

Feinde

In der Bibel steht der Satz „Liebt eure Feinde“ (Mt 5, 44).

Er gilt als eine der Kernbotschaften des Jesus von Nazareth und hat auf den ersten Blick gar keinen Sinn. Feinde hat jede/r und es macht sie ja gerade zu Feinden, dass ich sie nicht liebe sondern ihr Verhalten und ihre Motive völlig ablehne. Wenn manch einer sagt, dass die gesellschaftlichen Spaltungen zunehmen, dann sagt er damit auch, dass Feindschaften zunehmen, auch wenn dieses Wort nicht mehr so modern klingt.

Allen, die darüber nachdenken, ist klar, dass wir als Gesellschaft keine gute Zukunft haben, wenn wir es nicht schaffen, diese Feindschaften zu überwinden. Schon rationale Überlegungen lassen uns erkennen, dass es keinen Sinn hat, die Spirale der Feindseligkeiten immer höher zu schrauben, und dass es nötig ist, aus diesem Kreislauf auszusteigen und mit der Gewalt aufzuhören. Das lernen wir schon als kleine Kinder, wenn uns jemand sagt: „vertragt Euch wieder und gebt Euch die Hand“. Auf der Ebene von Staaten funktioniert dieses Rezept nicht. Man kann z.B. Putin nicht einfach gewähren lassen. Und auch zwischen Erwachsenen funktioniert es nicht besonders gut. Wir gehen unserem Feind dann doch lieber aus dem Weg und hegen unseren Groll im Stillen. Manchmal geben wir uns auch einen Ruck und reichen dem Anderen die Hand, in der Hoffnung, dass er einlenkt und es besser wird. Aber das klappt leider zu selten richtig befriedigend.

Liebe hingegen ist etwas völlig anderes als rationale Kalküle. Klassisch wird sie definiert als „velle alicui bonum“ – dem anderen Gutes wollen. Sie geht damit weit über Verhaltenstoleranz hinaus und meint das Gegenüber als ganzen Menschen, der genauso wie ich Gottes Geschöpf ist und das Gute will. Ich muss erst einmal nicht mein Verhalten ihm gegenüber ändern, sondern meine innere Einstellung. Es geht darum, wirklich das Herz für den anderen zu öffnen und nachzuspüren, wie er oder sie von Gott her mit derselben Liebe getragen und derselben Würde belegt ist wie ich selbst. Es geht darum, dem Mitmenschen wirklich Gutes zu wollen.

Das kann ich nur mit mir selber ausmachen. Niemand zwingt mich dazu. Es ist meine freie Entscheidung, ob ich das tue. Es ist sehr schwer; aber nicht unmöglich. Es geht. Wenn ich das tue, dann verändert sich wirklich etwas in mir und auch in der Gesellschaft.

Übrigens: die Feindesliebe ist ein gewaltig hoher Anspruch an uns. Sie ist damit das Maß für alle anderen Arten der Liebe unserem Partner, unseren Kindern, unseren Freunden, Kollegen, Nachbarn usw. gegenüber: immer geht es darum, den Anderen nicht als einen Besitz zu lieben oder weil er ein bestimmtes Verhalten zeigt, das mir gefällt. Liebe bedeutet immer, den Anderen um seiner selbst willen zu lieben und auch mit allem, was mir nicht gefällt.

Dr. Michael Groß

Caritas