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Wort zum Nachdenken - Wochenende 12./13.07.

Dr. Michael Groß
Datum:
Veröffentlicht: 10.7.25
Von:
Verena Gebhard

Verzicht und Freiheit

Ich frage mich oft, was uns Menschen die Kraft geben kann, auf etwas zu verzichten und wirklich davon loszulassen.

Dabei unterstelle ich, dass viele von uns ihren Verstand benutzen und wissen, dass „die Welt genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht genug für jedermanns Gier hat“ (Zitat M. Gandhi). Dieser Gedanke mag helfen, nicht so viel zu konsumieren, weil unser Überleben und die Zukunft unserer Kinder daran hängen. Aber jedenfalls bei mir ist es so, dass mich immer wieder die Gier nach etwas packt und ich mich bei dem Gedanken oder Gefühl des Neids ertappe und denke, dass mir etwas „ja wohl zusteht“. Wie kann ich in einer solchen Situation dennoch loslassen, ohne mich innerlich dafür rechtfertigen zu müssen, Chancen zu vertun und Gelegenheiten nicht zu ergreifen?

Früher wurde dem Verzicht eine große Bedeutung beigemessen. Die Fastenzeit war z.B. nicht dazu da, den eigenen Body Mass Index zu optimieren, sondern diente dem Ziel, sich im Loslassen einzuüben, um frei zu werden für das Eigentliche unseres Lebens, was aus Sicht der Alten die Begegnung mit Gott war. Diese Askese in Lebensbereichen wie Konsum und Besitz, Sexualität und Macht wurde auch geübt, um innerlich weniger abhängig, also freier zu werden.

Aktuelle religionssoziologische Untersuchungen zeigen, dass erstaunlich vielen Menschen der Glaube an ein höheres bzw. anderes göttliches Wesen Kraft und Sinn gibt. Gleichzeitig ist immer noch „Freiheit“ eins der großen Ziele unserer Kultur und Vielen ist daran gelegen, Abhängigkeiten in ihrem Leben zu überwinden. Beide Motive für den Verzicht sind also auch in der Gegenwart immer noch von hohem Interesse.

Den Verzicht kann man einüben und ausprobieren. Man kann eingeredeten oder eingebildeten Bedürfnissen widerstehen und auf ihre Erfüllung verzichten und dabei dem inneren Seelenleben nachspüren: macht der Verzicht einen ärmer und unglücklicher oder reicher, glücklicher und freier?

Die damit verbundene bzw. zu gewinnende Freiheit ist natürlich eine andere als die, die uns durch Werbung und den Konsum von Gütern vorgegaukelt wird. Es geht genau nicht darum, noch mehr haben oder tun zu können. Es geht um eine Freiheit der inneren Unabhängigkeit und Bedürfnislosigkeit. Das ist eine Freiheit, wie sie vielleicht auch Sokrates vorschwebte, als er einmal sagte: „Wie zahlreich sind doch die Dinge, derer ich nicht bedarf“.

Michael Groß

Caritas