Wort zum Nachdenken 13./14.07.

Was uns Halt gibt
Ich verstehe das. Er hat mitgefiebert mit den Erfolgen der Mannschaft, das hat ihm Freude gemacht und er hat auf weitere Erfolge gehofft und darin viel Motivation in seinem Leben verspürt. Gestört hat mich das euphorische Gebrüll irgendwo in unserem Wohnviertel, als ob Wohl und Wehe der Menschheit von den Erfolgen dieser elf Profifußballer abhängen.
Ich frage mich, was Menschen Halt gibt, damit sie nicht nur von Äußerlichkeiten abhängig sind. Sicher: die Kirche hat vielleicht zu lang auf der Bedeutung innerer Werte beharrt und dabei die wichtigen sozialen Fragen in Vergangenheit und Gegenwart übersehen. Heute leben wir nun in einer Gesellschaft, in der selbst das kleinste Unrecht einen Sturm der Empörung auslöst. Geraten wir aber dabei nicht von einem Extrem ins andere? Brauchen wir nicht innere Werte, also etwas, was es wert ist, dafür zu leben, zu kämpfen und einzustehen? Was sonst macht uns zu Menschen?
Der berühmte Soziologe Hartmut Rosa beschreibt das so: die Moderne mit ihrem Beschleunigungsdruck schürt in uns den Drang zu einer ständigen Reichweitenvergrößerung. Wir wollen alle mehr. Mehr Geld, mehr Sachen, mehr Erfolg, mehr Einfluss, mehr Freizeit, mehr Freunde usw. Dabei verlieren wir völlig aus dem Auge, dass mit diesem „mehr“ nicht mehr Lebensqualität verbunden ist, sondern weniger. In der Hektik des „immer mehr“ verlieren wir den inneren Halt.
Unsere Aufgabe würde dann darin liegen, statt nach Quantität nach Qualität zu suchen und dafür einzustehen. Statt 50 Freunden auf Social Media lieber einen richtigen im echten Leben. Statt vielen Sachen lieber eine, die etwas mit mir zu tun hat. Statt mehr Geld lieber eine wahrhaftige Begegnung. Mehr Lebensqualität heißt, dass „Resonanz“ möglich wird: ich nutze die Menschen und Dinge dann nicht, sondern ich lasse mich auf sie ein, ich lasse mich von ihnen berühren.
Lebensqualität, die mir Halt gibt, die mich innehalten und zufrieden sein lässt, bringen manche mit Gott in Verbindung. Das kann man; muss man aber nicht. Es geht vor allem um die Umkehr der Blickrichtung: nicht immer mehr zu haben macht uns glücklich, sondern die Dinge zu lassen wie sie sind und ihnen zuzulächeln.
Michael Groß
Caritas